Die Wette hatte ich schon im Vorfeld des „Tages der Begegnung“ verloren. 29 Lehrkräfte von zehn unserer fünfzehn Ausbildungsschulen hatten sich angemeldet. Ich hatte prognostiziert, dass sich keine 15 Lehrkräfte für diesen Tag finden würden. Zusammen mit den sieben Referendar:innen und dem 24-köpfigen Ausbilder:innenkollegium waren wir nun insgesamt 60 Personen, die am Mittwochvormittag auf dem Marktplatz im neuen Studienseminargebäude an der Otto Franzius Straße aufschlugen. Einzelne kamen später, einige weitere Kolleg:innen aus den Ausbildungsschulen hatten sich spontan entschlossen zu kommen. So sollte es sein: Ein flexibles Angebot, um die Kooperation zwischen Schule und Studienseminar niedrigschwellig anzusetzen. Und so waren auch unsere vier Workshops, die meine Kolleginnen und Kollegen zusammen mit einigen der Referendar:innen am 11. März vorbereitet und später noch ausgearbeitet hatten, ein niedrigschwelliges, praxisorientiertes Angebot, das an den verschiedenen biographischen Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen anknüpfen können würde. Gegen 8.30 Uhr am Morgen waren dann die Workshopräume fertiggestellt, bestuhlt und mit Türschildern versehen, Stellwände platziert und die Kreidetafeln neu hergerichtet. „Schön, dass Sie/ihr da seid/sind!“ stand auf einer dieser Tafeln als Willkommensgruß.
Der Marktplatz füllte sich, bis gegen 8.45 Uhr die Glocke läutete, mit der Carolin Schaper, ganz ohne formelle Begrüßung, den „Tag der Begegnung“ eröffnete und alle Teilnehmenden willkommen hieß. Was folgte, war ein szenisches Spiel zwischen Ausbilderin und Referendarin, das die Schwierigkeiten des Ankommens für Lehrkräfte im Ausbildungsdienst (LiVD) illustrierte – hin- und hergerissen zwischen Schule und Studienseminar. Zeit lässt sich nicht teilen, das ist am Beginn eines Referendariats eine einschlägige Erfahrung.
Die Teilnehmenden lauschten dem Anspiel. Die gespielte Situation rief ein allgemeines Schmunzeln hervor. Neben dem bereitgestellten Kaffee und dem Kuchen war dies ein wirklicher Türöffner. Und sofort, die Aufführung war gerade beendet und Annegret Schlegel hatte organisatorisch und inhaltlich durch den Tag geführt, folgte ein Redeschwall, der kaum zu bremsen war, den Marktplatz erfüllte und nicht aufhören wollte, als die Uhr schon beinahe 9.00 Uhr schlug und die vier Workshops in der unteren Etage, im Erdgeschoss, beginnen sollten. Eilig fasste sich eine jede und ein jeder ein Herz, lief die drei Etagen im Treppenhaus hinunter und fand sich dann mit etwa 10-15 weiteren Personen in einem der vier Workshopräume wieder.
Die vier Workshops boten einen vielfältigen Zugang zur Arbeit im Studienseminar: Der Workshop A thematisierte das Ankommen. Nach einem allgemeinen Blitzlicht wurden Anliegen und Fragen ausgetauscht, die abgefragt und schließlich an zwei Pinnwänden fixiert wurden. Hier wurde nicht nur eine Ideenbox erstellt, sondern vor allem wurde miteinander das Gespräch gesucht: Was benötigen LiVD von der Schule, was vom Seminar? Was können diese auch schon im Vorfeld des Ankommens leisten? Was wünschen sich die Beteiligten? In allen drei Durchgängen wurden die beiden Pinnwände vollständig gefüllt. Der Bedarf, sich über die Situation des Ankommens auszutauschen, war ausgesprochen hoch. Die Atmosphäre einladend und wenig formell. Hier wurde sofort auf Augenhöhe miteinander kommuniziert. Eigene Erfahrungen wurden eingebracht, die so manchen Verbesserungsvorschlag für den Start an der Schule und am Seminar zugänglich machten. Ein schöner Auftakt an diesem Begegnungstag.
Im Workshop C, schräg gegenüber, wurde schnell eine gute Gesprächsatmosphäre etabliert. Allerdings gab es – biographisch bedingt – sehr unterschiedliche Vorerfahrungen mit der Frage, was die Qualität von Unterricht ausmacht. Schnell wurde deutlich, dass es schwierig werden würde, klare Gütekriterien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Was macht schließlich guten Unterricht aus? Die Umsetzung des Fachlichen, der fachdidaktisch begründete Lernweg, die methodische Variabilität oder letztlich die Lehrperson selbst mit ihrer empathischen und kommunikativen Persönlichkeit, die das Classroomemanagement professionell beherrscht und moderierend durch das Unterrichtsszenario führt? Die vorgetragenen Fallbeispiele führten in diesen Diskurs hinein.
So ein Unterrichtsbesuch stellt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar, in der Vorbereitung, in der Durchführung und auch in der Reflexion. Im Workshop B auf der anderen Gangseite wurde auf die Unterrichtsreflexion fokussiert. Natürlich bringt auch hier jede Lehrperson ihre eigenen Erfahrungen mit, die sich biographisch in der eigenen Ausbildung verorten lassen. Ein doppeltes szenisches Spiel machte dies sichtbar. Ausbilder und Referendarin saßen sich zur Nachbesprechung gegenüber. So eine Nachbesprechung des gerade durchgeführten Unterrichts kann schon sehr hart sein, zumal wenn der Referendarin die Defizite der Stunde um die Ohren gehauen werden und sie sich permanent im Rechtfertigungsdruck befindet. Eine grausige Situation. Der Ansatz von Carola Junghans hebt nicht nur das Dialogische der Unterrichtsreflexion hervor, sondern will im Sinne der Mäeutik an die beobachteten Verhaltensweisen und Unterrichtssituationen der gezeigten Stunde anknüpfen und zwar in der Form der Betrachtung von Stärken- und Entwicklungsfeldern. Hier soll die LiVD dort abgeholt werden, wo sie steht. Ihre eigenen Wahrnehmungen werden zum Ausgangspunkt des Gesprächs. Die Gesprächshaltung ist so natürlich eine andere. Hierüber ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren, inwieweit die Beobachtungen zu nachhaltigen Bewertungen führen, ist das Anliegen dieses Workshops. Der initiierte Gesprächsprozess ist somit systematisch, aber nicht allumfassend, strukturiert, aber nicht festgezurrt, ritualisiert, aber noch offen für neue Wege. Das transparente Verfahren ist jedoch keine transparente Bewertung von Unterricht, da der Fokus ausschließlich auf der individuellen Beratung liegt. Hier gab und gibt es viel Gesprächsbedarf, der Workshop konnte hier sehr anschaulich und eindringlich Fehlformen vergangener Zeiten offenlegen. Die biographisch bedingten Traumata lassen sich so jedoch kaum bearbeiten.
Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Seminar setzt an diesen einschlägigen Erfahrungen an. Was lässt sich verbessern? Inwieweit können unsere eigenen Prägungen helfen, die Gestaltung der Seminararbeit neu zu denken? Wo gibt es Problemanzeigen, die sogar über den Unterricht hinausreichen? Im Workshop D wurde die Möglichkeit geschaffen, sich für all diese Fragen Zeit zu nehmen. „Zeit für Sie!“ So wurden Wahrnehmungen bezüglich der Situation der LiVD formuliert und Ideen, Wünsche und Anregungen notiert. Im Fokus: Das offene Gespräch. Auf Augenhöhe zwischen Ausbildungslehrkraft, Referendar:in und Ausbilder:in. Das Erstaunliche: Die Nahbarkeit aller Beteiligten.
Der erste Slot dauerte in aller Regel 45 Minuten. Viel Zeit für eine Kaffeepause bestand nicht, zumal ja auch das Treppenhaus in beide Richtungen in dieser fünfzehnminütigen Pause bewältigt werden musste. Dennoch: Eine Auszeit für Kaffee und Kuchen tat gut. Viele Teilnehmende nutzten diese Möglichkeit und liefen nach einer kleinen Stärkung die Treppenstufen wieder hinunter, um sich einem neuen Workshop zuzuwenden. Ankommen? Ja, aber jetzt bitte die inhaltliche Seminararbeit. Qualität von Unterricht, Gütekriterien? Ja, aber dann bitte auch die Unterrichtsreflexion. Die Möglichkeiten waren vielfältig und wurden als solche auch genutzt. Kein Workshop stand in einem der drei Slots ohne externe Teilnehmer:innen dar. Die Diskussionen waren ehrlich, manchmal anstrengend aber stets bemüht, das Konstruktive im Blick zu behalten. Kartenabfragen wurden durchgeführt, Ergebnisse wurden fixiert und später abfotografiert. Die wahrgenommene Atmosphäre hätte besser kaum sein können.
So verging der Vormittag sehr schnell. Um 10.00 Uhr fand der zweite Slot statt, um 11.00 Uhr die dritte Runde. Dann gegen 12.00 Uhr war Mittagszeit. Der Marktplatz wurde neu belagert, das Buffet mit den Leckereien zunehmend geplündert. Tatsächlich blieb so gut wie nichts übrig: So soll es sein! Die gute Atmosphäre tat ein Übriges. Es wurde gegessen, getrunken, miteinander gesprochen, manchmal auch rege diskutiert und zwar quer durch die Reihen und Sitzgruppen, quer durch die einzelnen Funktionsträger:innen und Schulgruppen. So eine Veranstaltung sollte es öfter geben, wurde als Wunsch formuliert. Die Kooperation zwischen Schule und Seminar könnte so auf viele Beine gestellt werden. Natürlich spielt dabei auch die Wertschätzung der zeitlichen Belastung der ehrenamtlichen Tätigkeit der Ausbildungslehrkräfte an den Schulen eine Rolle. Wie lässt sich diese „vergüten“? Entscheidend sind jedoch die Köpfe, die Ideen, die in den jeweiligen Alltag mitgenommen werden können, die unsere Arbeit tragen, erträglich, herausfordernd, aber auch spannend machen. Nächstes Jahr am Studienseminar? Gern, es wäre schön, wenn sich so etwas institutionalisieren ließe. Der Anfang ist gemacht!
Martin Strauß